Jenseits von Dogma und Böse

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Geschwister-Scholl-Gymnasium inszeniert „Das Haus von Montevideo“

Solange seine Familie nach Konventionen und Regeln lebt, die für den autoritären Gymnasiallehrer Traugott Herrmann Nägler ganz gängigen Werten entsprechen, ist die Welt für ihn in Ordnung. Aber in der Komödie „Das Haus in Montevideo“ von Curt Goetz, die am Dienstagabend im Geschwister-Scholl-Gymnasium Premiere hatte, gerät seine konservative Moral ins Rutschen. Er wird mit der Vergangenheit seiner eigenen Familie konfrontiert. Seine verstorbene Schwester will ihm ein Anwesen in Montevideo vererben. Nachdem sie ein uneheliches Kind bekommen hatte, galt sie in der Familie als schwarzes Schaf und wanderte nach Uruguay aus. Auch Nägler hatte sie seitdem gemieden. Als begnadete und geschäftstüchtige Sängerin hatte sie es in Südamerika vor ihrem Tod zu einem großen Vermögen gebracht.
Eine Klausel im Testament der Schwester führt Nägler in eine Dilemma: Nur wenn ein Mitglied in Näglers Familie ein uneheliches Kind bekommt, erhält das Opfer ‒ die Mutter des Kindes also ─ das Erbe von einer Million Dollar. Nägler fängt an ernsthaft darüber nachzudenken, ob er seine Tochter zu einem öffentlichen Fauxpass mit ihrem Verlobten bringen könnte. Die 16jährige gibt ihm Anlass zum falschen Glauben, dass sie schwanger ist – das findet Nägler, der sich auch moralischen Zielkonflikten ausgesetzt sieht, jetzt nicht mehr so schlimm. Das Geld könnte er für seine wohltätigen Prestigeprojekte gut gebrauchen.
Gurt Goetz schrieb die Komödie 1945 im Exil, als die anerkannten rigiden, starren Moralvorstellungen noch stark von der Kirche beeinflusst waren und der Gottesdienstbesuch der Familie am heiligen Sonntag gang und gäbe war. Der Dogmatismus wurde 20 Jahre später von der 86er-Bewegung als „der Muff von tausend Jahren unter den Talaren“ verunglimpft. Das Bedürfnis Näglers, eine feste Identität und Werte zu leben, die in Gefühl von Sicherheit vermitteln, würde man heute als Konservatismus bezeichnen.
Anhand der dogmatischen Regeln, die ihm sein Glauben mitgibt, muss Nägler um Lösungen für alltägliche Probleme ringen. Curt Goertz spielt mit den Paradoxien und Dilemmata, in die feste Moralvorstellungen führen können. Sie halten Nägler davon ab, argumentativ und um Verständnis bemüht mit anderen zu interagieren, flexibel zu handeln und führen ihn in eine Doppelmoral. „Intoleranz und moralische Heuchelei im weitesten Sinne ist Thema der Komödie“, sagt der Deutschlehrer Daniel Teufel, der mit Roland Gersch die Regie führt: „Das Stück hat einen leichten, aber moralischen Gehalt.“ Roland Gersch wollte die Komödie deshalb mit ihm als Stück der alten Bühne inszenieren: „Die Dialoge sind geistreich und trotzdem kommen sie nicht schwer daher. Nägler ist eigentlich ein ganz kleingeistiger Typ, aber man belächelt ihn nicht“, sagt Gersch. Die gelungene Performanz auf der Bühne sei das Ergebnis einer guten Gruppendynamik. Die guten Amateurschauspieler gäben ihre Tipps weiter, nähmen regelmäßig an Workshops unter der Leitung von Profi-Schauspielern teil und zögen die anderen so mit.

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