Die Graffiti-Szenegröße EGS aus Helsinki widmet das neue Mural am alten Messplatz dem Thema „Old new world order“, nach dem es benannt ist. Sein Künstlername lautet auf seine persönliche Signatur, in der Szene heißt ein solches Pseudonym kurz Tag. Wie alle aus seiner Sicht coolen Jungs aus seinem Viertel fing der heute 42jährige Künstler im Alter von 13 Jahren mit dem Sprayen an.
Würde man eine Weltkarte einscannen, in einem Grafikprogramm öffnen und mit dem Cursor an manchen Stellen schieben und zerren, ergäbe sich ein ähnliches Bild: Eine Weltkarte, deren Proportionen verzerrt sind wie die des Graffiti-Globus „Old new world order“ auf dem Einraumhaus am alten Messplatz. Während seiner Arbeit habe er die Reaktionen der Passanten mitbekommen, erzählt der Graffitikünstler. Viele stellten fest, dass die Karte die Welt nicht so abbilde, wie sie ist. „Grenzen legen uns in unserem Denken über die Welt fest“, sagt der ESG bei der Vernissage. Die Botschaft: Sich von der festgefahrenen Perspektive lösen.
Auf den ersten Blick irritiert die verzerrte, improvisierte Weltkarte. Das Graffiti gibt gerade deshalb Anstoß zu Reflexion. Es lässt viel Spielraum für Interpretationen. Wirtschaftsbeziehungen, Machtverhältnisse, Globalisierungstrends, das alles ließe sich in der stark abstrahierten Karte erkennen, so ESG. Das Werk sollte zeitlos sein und globale Trends wiederspiegeln, die gerade aktuell sind, aber einem ständigen Wandel unterliegen.
Für EGS war schon bei der Planung der Wand wichtig, dass Passanten politische Aspekte erkennen können, der sie persönlich umtreiben. „Manche begrüßen Europäisierung und Integration und glauben, dass die Gesellschaft von neuen kulturellen Einflüssen profitiert. Andere haben Angst vor Überfremdung der eigenen Werte, sondern sich in engen Kreisen ab und bleiben lieber unter ähnlich gesinnten. Die Perspektive aufs Werk kann so individuell sein wie persönliche Einstellungen“, erklärt EGS. „Als ich jung war, hatten die USA eine klare Vormachtstellung, was sich mit dem Zusammenwachsen und der wirtschaftlichen Verzahnung Europas sowie der Entwicklung Afrikas und Asiens geändert hat“, sagt EGS. Das habe ihn in seiner Sichtweise geprägt und sei der einzige Aspekt, der aus Künstlerperspektive eingegangen sei. Den beiden aufstrebenden Kontinenten hat EGS aus diesem Grund eine eigene Wand auf dem Einraumhaus gewidmet.
Grenzen üben auf den Kosmopoliten, der aufgrund seines internationalen Rufs viel durch die Welt reist, eine große Faszination aus. Aus Neugier besuchte er die ehemaligen Zollpunkte an der früheren Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland und alte Grenzposten zwischen den ehemaligen Staaten Tschechien und der Slowakei. „Das Ziehen von Grenzen kann Konflikte lösen oder sie erst auslösen“, sagt EGS: „Außerdem sprechen Karten für sich, jeder kann sie lesen unabhängig von seiner Nationalität.“ Sie sind seit einigen Jahren das Lieblingsthema des Künstlers, der sich seit Beginn seiner Laufbahn vor 25 Jahren an 2000 verschiedenen Stellen in vielen großen Städten in 40 Ländern weltweit verewigt hat. Die finnische Post hat kürzlich Briefmarken mit seinen Graffiti-Motiven in Umlauf gebracht. In diesem Jahr stellte er in der staatlichen Kunsthalle Helsinki aus.
„Der Messplatz war ein einzigartiger Ort, um zu sprayen“, sagt EGS: „Den Kontrast zwischen moderner Architektur und historischen Gebäuden gefällt mir. Mannheim ist eine weltoffene Stadt, die offen für Veränderungen ist und in der Fremde willkommen sind.“